Ein Bienenhaus mit einer Vielzahl bunter Kästen? Oder eine nach dem Vorbild der synästhetischen Klaviatur Alexander Skrjabins notierte Partitur? Erste Assoziationen, die sich einstellen, sind nicht gar so weit gefehlt. Inhaltlich fangen die Fotografien tatsächlich «Wohnkolonien» ein. Technisch operieren sie als Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Und optisch schwingen sie rhythmisch – das eine Mal temperamentvoll, das andere Mal eher monoton. Doch immer sind sie mit Synkopen durchsetzt.
Seit Anfang 2013 sucht Roger Frei grossmassstäblich angelegte Wohnsiedlungen heim. Er macht sich auf die Suche nach dem «Heim» in dem als anonym empfundenen Massenwohnungsbau. Systematisch schreitet er deren Erschliessungszonen geschossweise ab, fotografiert Korridorwände in regelmässigen Abständen und montiert die Aufnahmen anschliessend digital so zu Collagen zusammen, dass sie sich zu einer seriellen Komposition verdichten – und mithin die serielle Bauweise der Häuser illustrieren.
Es entsteht eine «virtuelle Schnittansicht» durch das Gebäude – man möchte sie fast als Kombination aus Gordon Matta-Clarks Splitting (1974) und Ed Ruschas Every Building on the Sunset Strip (1965) lesen.
Während Matta-Clark den intimen Raum ans Licht brachte, zeichnete Ruscha die öffentliche Seite der Bauten nach. Frei nun aber bewegt sich auf der Schnittstelle zwischen öffentlich und privat – im Innern der Bauten zwar, aber ausserhalb der Wohnungen.
Zudem scheint es, als hätten sich kleine Fehlstellen eingeschlichen, die das Auge zunächst irritieren, aber auch den Blick fesseln. Es sind die eingangs erwähnten Synkopen. Sie entpuppen sich als Alltagsgegenstände, die - als wären sie zufällig eingestreut - die Qualität von „objets trouvés“ haben: ein Kinderwagen, ein Rollbrett, eine Pflanze, ein Regenschirm, ein Gemälde. Sie erzählen etwas über die Bewohner hinter den verschlossenen Türen. Ohne voyeuristisch zu sein, holen die Fotografien so die Menschen aus der Anonymität. Sie erzählen in verdichteter Form von ihrem alltäglichen Leben.
Diese Arbeit wurde an folgenden Orten gezeigt:
Architekturgalerie Berlin / Swiss Photo Award 14 Zürich / Photoforum PasquArt Biel / La Chambre Strassbourg / Photobastei Zürich / Wiesbadener Fototage / ArteF Galerie Zürich
gekürzter essay
rahel hartmann schweizer